Abseits (3)

Unaufhaltsam hat die Sonne wieder einmal ihren Zenit überquert und nun droht ihm die Dämmerung mit der nahenden Dunkelheit. In der ihm eigenen inneren Ruhe und Gemächlichkeit beginnt er seine Sachen einzupacken. Viel ist es nicht, was er einpacken muss und wichtig ist ihm eigentlich nichts davon. Lediglich die Gewohnheit macht es, dass er nicht auf diese Dinge verzichten will, erleichtern sie den Alltag doch ungemein. Eine Schüssel hat er, auf die er besonders stolz ist. Die hat ihm ein Freund von einer seiner Reisen in die Ferne mitgebracht. Dabei ist es nicht die Schüssel, die ihm am Herzen liegt, sondern vielmehr die Geste. Und die erlebten Geschichten, die der Freund ihm berichtet hat. Auch er selbst ist ein Reisender, ein Gedankenreisender. Es vergehen Stunde, manchmal sogar Tage, an denen er einfach nur die Gedanken treiben lässt und aus der Ferne vollkommen apathisch zu sein scheint. Der genaue Beobachter würde dabei ein kleines, sich kräuselndes Lächeln im Mundwinkeln entdecken können, da ihn die Träumerei wahre Glücksmomente durchleben lässt. Diese Art der Reise ist ihm die einzig vergönnte und ohne Bitternis hat er sich nun ihr allein ganz und gar hingegeben.

Wenn er nicht träumt, dann beobachtet er. Die Passanten, die vorüber rasen, gehen oder fahren und ihn meistens mit niedergeschlagenen Augen zu ignorieren versuchen. Nicht wegen ihm, dass hat er schon lange erkannt. Um ihn geht es dabei nicht. Er ist nur ein Mensch, der am Wegrand sitzt. Aber als ein solcher Mensch abseits der Norm scheint er eine unglaubliche Macht auszuüben. Allein mit seiner Präsenz fühlen sich die Menschen an ihre eigene Unzulänglichkeit erinnert, daran, dass sie nicht in der Lage sind, stehen zu bleiben und mit ihm ein Gespräch anzufangen und nach den Gründen seines derartigen Daseins zu fragen. Sie fühlen sich daran erinnert, dass sie sich nicht trauen, an ihn heranzutreten und ihm ein wenig von ihrer raren Zeit zu spenden. Und wenn das Gewissen zu groß wird dann kommt ab und an Jemand mit einem großen Schein vorbei und glaubt damit die verlorengegangene Zeit zu übertrumpfen. Zeit, die sie schon längst nicht mehr haben und er zu Genüge besitzt. Nur teilen lässt sie sich auf diese Weise nicht. Mit einem letzten festen Zug schnürt er das Band seines Rucksacks zu, schultert ihn sich auf den Rücken und macht sich auf dem Weg zu seinem gewohnten Schlafplatz, der ihm eine weitere Nacht versüßen wird.

Ferne Welten

Da laufen sie die Menschen, kommen und gehen wie es ihnen beliebt. In einem Moment sind sie noch da, spürbar, greifbar, nahe und im nächsten in weiter Ferne. Sie ziehen los, werden angelockt, weg von hier, weg von dir und mir.  Bewegende Geschichten bringen sie mit von ihren Reisen, manch einen hält es gar ewig dort. Es ist ein Sehnen, das sie erfüllt. Ein Sehnen nach Unbekanntem, nach Neuem, Unerwartetem. In ihren Augen sehe ich dies Sehnen, sehe diese Funken, die nach Abenteuern lüsten.

Ist es das Glück, das sie in der Ferne zu finden hoffen?

Es scheint mir als wollte der Geist sich ausdehnen und benötigt dazu weite Strecken voller Unterschiede, Höhen, Tiefen und Erlebnisse. Ich sehe sie wandern, die Menschen und weiß, dass ich es ihnen gleichtun werde. Diese Lust auf das Fremde, sie ist mir nicht fern, ist mir wohlbekannt und mein Geist wartet nur auf den Zeitpunkt sich ausdehnen zu dürfen. Bald wird die Zeit kommen zu reisen, aber erst will ich mich noch hier vergnügen. An Ort und Stelle fremde Welten kennen lernen und Höhen und Tiefen erleben. Um nach langen Reisen in eine Heimat zurückkehren zu können.

Denn ist es nicht Heimat, was die Menschen suchen?

Bis dahin schaue ich den Menschen zu, wie sie komme und gehen, freue mich mit ihnen und sehe in die Ferne.

Hilfe!

Die Schaufel gräbt sich in die trockene Erde, dringt immer tiefer vor, befördert einen Klumpen nach dem anderen an die Oberfläche. Sie bohrt dort ein Loch, wo vorher keines war. Die Sonne steht am mittäglichen Zenit, normalerweise eine Zeit zu der die Menschen die kühle Zuflucht in ihrer eigenen Behausung suchen. Jetzt jedoch steht das ganze Dorf versammelt um das wachsende Loch. Sie wurden gelockt von der unersättlichen Mühe der Schaufel, geführt von einer weißen Hand, die ihren Ursprung in dem schweißdurchtränkten Körper eines weißen Besitzers findet. Dunkle Flecken breiten sich auf den tarnfarbenen Kleidungsstücken aus, die dem neuesten Outdoormagazin entnommen zu sein scheinen. Einzelne herabfallende Tropfen weichen den spröden Boden auf.  Unermüdlich gräbt die Schaufel weiter, der Handbesitzer will sein Werk vollenden. Ein leichter Wahn der Euphorie liegt in seinen Augen, als er triumphierend die Schaufel beiseite legt und sein Werk betrachtet. Es ist an der Zeit es zu vollenden. Er wirft einen letzten Blick in die Menge, schaut in ihre fragenden Gesichter und lässt sich mit einer bedeutungsschwangeren Geste eine kleine Pflanze reichen. Vorsichtig platziert er sie in dem Loch, in dem die Pflanze kümmerlich versackt. Ein Häufchen Erde nach dem anderen befördert er nun mit den eigenen beiden Händen an den Herkunftsort zurück. Nach dem letzten behutsam verstreuten Erdklümpchen erhebt er sich, wird sich seiner Tat bewusst und, um nicht unnötigen Lobeshymnen ausgesetzt zu werden, verzieht er sich bescheiden in die Reihen seiner eigenen Landesgenossen zurück, die ihn mit jubelnden Rufen in Empfang nehmen. Und ehe man sich versieht, befinden sich die weißen Fremdlinge  bereits in ihrem Bus, auf den Weg zu neuen Heldentaten. Die Dorfbewohner stehen noch immer schweigend umher, staunend über das Schauspiel, das sich hier gerade ereignet hat. Ein Einzelner geht näher an das Pflänzchen heran und begutachtet es genauer. „Well it’s a tree“, sagt er nach eingehendem Studium und schaut sich verständnislos in dem von Bäumen und Pflanzen nur so strotzendem Dorf um.