Freiheitsbedürfnis

In einem Cafe sitzt ein Pärchen. Alle Anwesenden lauschen andächtig ihrem leisen Gespräch. Tränen laufen den Beiden über das Gesicht. Die Stimmen sind brüchig. Kaum schaffen es die Worte die Lippen zu verlassen.

Es ist ihr Abschied voneinander. Das letzte Treffen. Das letzte Mal, dass sie behaupten können, sie sind ein Paar.

Eine Kehrtwende gibt es nicht.

Die Liebe zwischen den Beiden, sie war tief und von langer Dauer. Nach und nach ist sie spärlicher geworden. Zu spät haben sie es erkannt. Haben den Zeitpunkt verpasst, an dem sie dieses Ende im Cafe hätten abhalten können. Immer seltener sahen sie sich, immer weniger verspürten sie das Bedürfnis einander nahe zu sein. Zu sehr waren sie mit ihrem eigenen Leben beschäftigt und auf einmal war er da. Der Moment in dem sie erkannte, dass es zu spät ist. Dass es keinen Sinn mehr macht, diese Beziehung am Leben zu halten. Dass ihr Freiheitsbedürfnis größer geworden ist als die Liebe zum Partner. Auch er hätte es früher oder später erkannt, aber es war an ihr die Erste von Beiden zu sein, die dieser Tatsache ins Auge sah. Und so lag es auch an ihr die geschwundene Liebe anzusprechen. In dem Cafe.

In dem sie nun Abschied voneinander nehmen. Sie schweigen mehr als dass sie reden, noch einmal wallen sämtliche Gefühle empor. Zu spät.

Sie sehen sich ein letztes Mal in die Augen, langsam lösen sich die ineinander verkrampften Hände. Begreifen können sie es beide noch nicht. Ihr gemeinsames vergangenes Leben ist vorbei. All die gemeinsamen Erlebnisse, gemeinsamen Freunde, die Familie des anderen, das alles wird nicht mehr sein wie noch vor wenigen Momenten.

Langsam erhebt sie sich aus dem Stuhl. Die Augen sämtlicher Anwesenden im Cafe sind auf das Pärchen gerichtet. Sie geht, verlässt das Cafe, das sie nie wieder wird betreten können. Zu stark ist es von nun an mit Erinnerung belastet.

Sie geht und verlässt ihr altes Leben. Freiheit, in diesem Moment scheint sie nicht mehr allzu verlockend.

Fehlsicht

Sehend und nicht begreifend fallen Fehler gleich gravierend aus.

Jemand scheint der Unordnung zu sehr gewogen, sie der Zeit in Mode und Verhalten nicht zu entsprechen?

Dort, siehst du diesen entschwebten Gang der Frau auf der anderen Straßenseite? Ist sie sich dieses Aufmerksamkeit erregenden Schritts nicht gewahr?

Wieso verkündet er seine Meinungen in allzu lauten Tönen?

Ist diese Zickigkeit der Freundin nicht eine übertriebene Reaktion?

Es scheint die Menschen wetteifern um den größten Mut zur Fehlerhaftigkeit.

Die anderen mögen’s ertragen.

Welche Fehler sehen sie in mir?

Und in dir?